„TypoWalz“ führte Hamburger Kommunikationsdesignerin Jana Madle-Elmerhaus in die Mosbacher Museumswerkstatt – Lehrmeister Karl Kretschmer und Guttenberg schauen über die Schulter
Von Peter Lahr
Mosbach. Sie ist eine Wanderin zwischen den Welten – und das nicht erst, seit sie sich auf die Wanderschaft begeben hat, um im Rahmen einer zweijährigen „TypoWalz“ historische Druckereien und Museen in Deutschland aufzusuchen. Vor Ort lernt sie von kundigen Meistern und Künstlern viel vom alten Schriftsetzer-Wissen. Doch Jana Madle-Elmerhaus ist in der digitalen Welt ebenso bewandert, wie in der analogen. Aus beiden Welten berichtet sie gleichermaßen eloquent – und mit einer Begeisterung, die die Zuhörer schnell mitreißt. Für eine Woche war die Hamburger Kommunikationsdesignerin in Mosbach, wo sie sich in Karl Kretschmers Werkstatt intensiv mit dem kaufmännischen „&“-Zeichen auseinandersetzte. Beim Pressegespräch im Stadtmuseum zeigte sich auch Museumsleiter Stefan Müller angetan.
„Ich weiß noch nicht, wohin mein Weg führt, aber ich werde überall mit offenen Armen empfangen.“ So beschreibt Madle-Elmerhaus ihr Lebensgefühl auf der „TypoWalz“. Den Begriff hat sie selbst erfunden. Denn für das Stipendium des „Vereins für Schwarze Kunst“, dem auch die Mosbacher Schwarzkünstler angehören, erfüllte sie nicht alle Auflagen. „Ich bin ja schon Großmutter“, kommentiert sie lachend das maximale Stipendiatenalter von 30 Jahren. „Ich fahre immer für eine Woche mit dem Zug wohin und arbeite dann wieder in Hamburg“, erläutert die Leiterin der Agentur „pix & pinsel“ ihre Wanderschaft, die auch Lektionen des Entschleunigens beinhalte. Dresden, Bruchsal und München bildeten erste Stationen. Nach Mosbach geht es weiter Richtung Stralsund zu den Spielkarten, nach Bremen und zu einem Hausboot an der Ostsee, welches in eine schwimmende Druckwerkstatt umgestaltet wurde.
Ihre Erlebnisse auf den einzelnen Stationen dokumentiert die Typographie-Begeisterte in einem „echten, handgenähten Wanderbuch“. Eine Buchbinderin aus dem „Museum für Arbeit Hamburg“, in dem auch Madle-Elmerhaus aktiv ist, hat mit ihr das prächtige Buch individuell gestaltet – inklusive
Kolumnenschnur. Es bietet Briefe, Zeugnisse und Kunstwerke ihrer Meister auf Zeit. In Dresden zeichnete ein Professor die berühmte Canaletto-Ansicht. Fotos, Stempel, Etiketten und Arbeitsproben runden das Werk ab. In einem kleinen Beutel führt Jana Madle-Elmerhaus ihr Basis-Werkzeug immer mit sich: zwei Pinzetten, einen Holzspatel und eine Ahle.
In Mosbach dreht sich alles um das kaufmännische Verbindungszeichen „&“. Zusammen mit Karl Kretschmer hat sie sich auf Entdeckungsreise begeben und zahlreiche „et-Zeichen“ (lat: und) gefunden. Von 16 bis 84 Punkten Größe. Daraus entwickelte das Duo eine Art Bleisatz-Schmuckblatt. „Wie im Rausch“ kam eines zu anderen. Nebenbei lernte die „Hamburger Deern“ auch „neue Sprachklänge“ kennen, etwa, was ein „Muckensäckele bedeutet. Mit dieser Maßeinheit Grün verfeinerte Kretschmer nämlich das Transparentweiß. Mit der Kraft von 40 Tonnen entstand auf der „Heidelberger“ eine limitierte „&“-Auflage.
Im mittelalterlichen Mosbach einem mittelalterlichen Beruf nachzugehen, das habe durchaus einen besonderen Zauber, betont Madle-Elmerhaus: „Guttenberg könnte jeden Moment vorbeikommen.“ Auch jenseits der Werkstätten hält die agile Schriftsetzerin beide Augen weit offen und erlebt Erstaunliches. So steckte sie die erste Gastgeberin in Dachau kurzerhand in ein echtes Dirndl – „für mich ein befremdliches Gefühl“.
Ihre Begeisterung für Schriften begann einst mit einer sehr hanseatischen Eigenart. Die „Hamburger Schrift“, die gerne in Goldlettern an bedeutsamen Gebäuden prangt, weckte das Interesse von Madle-Elmerhaus. Aus der Recherche entwickelte sich ein Buch. Klar, dass sie auch über die „TypoWalz“ berichtet. Nacht für Nacht in einem opulent gestalteten Blog. Später soll daraus wieder ein Buchprojekt werden. „Aber ich möchte nicht ein weiteres Fachbuch schreiben, sondern Geschichten erzählen und Menschen begeistern von einem großartigen Kulturgut, das vom Aussterben bedroht ist.“
Info: www.typowalz.de
Buchbinderin Anna aus Dresden machte Station in der Druckwerkstatt Mosbach. (von Peter Lahr)
Wenn Anna die Straße entlanggeht, fällt sie sofort auf. Das liegt schlicht an ihrem Erscheinungsbild. Denn die junge Buchbindergesellin aus Dresden ist seit dreieinhalb Jahren auf der Walz. Weshalb ein zerbeulter Zylinder ihre Lockenpracht vor Regen, Schnee und Sonne schützt. Zudem gehören ein Frackjackett, ein gedrehter Holzstock („Stenz“) und eine Holzkraxe mit ihren eingerollten Besitztümern („Charlottenburger“) zur Grundausrüstung. In Mosbach machte Anna nicht nur Station in der Druckwerkstatt und vertiefte ihr Wissen um den Handsatz. Zusammen mit Buchdruckermeister Karl Kretschmer und Museumsleiter Stefan Müller berichtete Anna dieser Tage im Stadtmuseum auch über das Leben unterwegs.
Um die Faszination der Walz wusste Stefan Müller. Er sah in ihr „eine Nahtstelle zwischen Geschichte und Gegenwart“. „Wir können unser Wissen weitergeben“, verwies Karl Kretschmer auf eine weitere wichtige Funktion. Anna habe bei ihrem Mosbach-Aufenthalt - ermöglicht durch ein Stipendium des bundesweit aufgestellten „Vereins für die Schwarze Kunst“ – ihr Wissen um den Handsatz vertieft. In zwei Wochen diffiziler Handarbeit schuf sie die UN-Erklärung der Menschenrechte von 1948. Für das 30 Artikel umfassende Blatt gingen Kretschmer sogar die Buchstaben aus. Zurück auf Start. Warum begibt sich heute überhaupt noch jemand auf die Walz? Das wollten viele Mosbacher unbedingt wissen. „Bei mir ist es die Neugierde gewesen“, erklärte Anna. Nicht zu wissen, was Morgen passiere. Etwas Abenteuerlust und die Möglichkeit, jenseits der ausgetretenen Pfade unterwegs zu sein, um das Fachwissen zu erweitern und persönlich zu reifen. Unterwegs war die Junggesellin in den letzten 42 Monaten nicht nur in Deutschland und Österreich. Als exotischste Etappe beschrieb Anna ihren Aufenthalt in Japan. Dorthin gelangte sie zwar weder zu Fuß noch per Anhalter. Aber sie fand auch ohne Sprachkenntnisse immer hilfsbereite Menschen, die sie unterstützten. Nur arbeiten konnte sie ohne Arbeitserlaubnis oder entsprechende Kontakte leider nicht. Immerhin erfuhr sie viel über die Papierherstellung.
„Wir werden grundsätzlich sehr herzlich und
freundlich aufgenommen“, lautete eine weitere Erkenntnis. Hohe Ansprüche an ein
Quartier hat Anna aber auch nicht: „Zwei Quadratmeter warm und trocken sind super,
alles andere ist Luxus. Wenn sie in einem Betrieb arbeitet, bekommt sie
meistens über den Meister oder Kollegen eine Unterkunft. Unterwegs gebe es zwar
Herbergen, aber häufig sei man auf hilfsbereite Mitmenschen angewiesen. Aus der
„Fülle an Momenten", erinnerte sich Anna an besonders triste Nachmittage
im Novemberregen irgendwo in der Provinz. Und dann tauchten Menschen auf,
denen es nichts ausmachte, einem Dutzend
„nasser, nicht wohlriechender Gesellen“ ein trockenes Quartier und eine warme Kartoffelsuppe
anzubieten.
„Unsere Kleidung ist das Büro“, betonte die Junggesellin. Die Kluft sei allerdings erst 100 Jahre jung. „Früher gingen die Leute in ihren besten und stabilsten Sachen los und das war der Sonntagsanzug.“ An der Koppel des Gürtels prangt das Berufswappen. Die acht Knöpfe an der Weste über dem weißen Hemd („Stauden“) stünden für die acht Arbeitsstunden am Tag. Die sechs Knöpfe am Jackett für die sechs Arbeitstage. Früher sollte der goldene Ohrring eine eventuelle Beerdigung fern der Heimat ermöglichen. Bis heute sind Handys auf der Walz verpönt. Ganz wichtig dagegen sind der Hut und das Wanderbuch. „Der Hut steht für unsere Freiheit, der ist unser Heiligtum“, unterstrich Anna. Fast nie gehe sie ohne ihr Wanderbuch aus dem Haus. Als Buchbinderin hat sie das ihrige selbst gefertigt. „Ich schreibe gar nichts rein“, erläuterte Anna das „fremd geschriebene“ Werk, das einst als Ausweis galt. Heute sammelt sie darin die Siegel der Städte und Arbeitszeugnisse. Nach ihrer Rückkehr will Anna im Herbst einen Meisterkurs absolvieren und sich selbstständig machen: „Ich hoffe, dass ich von meinen Ideen leben kann.“
Info: In der Druckwerkstatt Mosbach kann die im Handsatz und auf einer Handpresse gedruckte Erklärung der Menschenrechte, numeriert von 1 bis 50, für 45,00 Euro pro Stck. erworben werden.